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Archiv-Artikel

Das rosa Risiko

Werder Bremen verliert bei Juventus Turin mit 1:2 und scheidet aus der Champions League aus – schuld daran ist eine misslungene Einlage des überehrgeizigen Torwartparvenüs Tim Wiese

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Es sollte der ganz große Auftritt des Tim Wiese werden. Der Torhüter des SV Werder Bremen meinte vor dem Abflug der Mannschaft nach Turin zum Rückspiel im Champions-League-Achtelfinale gegen den italienischen Meister Juventus: „Die Begegnung wird das wichtigste Spiel in meinem Leben.“ Er wusste, dass die Abwehr der Bremer anfällig ist, dass er wahrscheinlich gut beschäftigt sein würde gegen die Stürmer aus Turin, die alles daran setzen würden, nach der 2:3-Niederlage im Hinspiel noch den Sprung ins Viertelfinale zu schaffen. Er gab sich selbstbewusst, so wie man es von dem jungen Mann gewöhnt ist, seit er im Alter von 20 Jahren Stammspieler in einer Bundesligamannschaft, der des 1. FC Kaiserslautern, geworden ist.

Und so spielte er dann auch. Mutig warf er sich den Turinern entgegen, zeigte sehenswerte Paraden und war auf dem besten Weg zum Spieler des Spiels zu werden – bis ihm in der 88. Minute der Ball aus den Händen rutschte und Turins Brasilianer Emerson zum 2:1 für Juventus traf. Dem zweiten Champions-League-Spiel in der Karriere des Tim Wiese wird so schnell kein weiteres mehr folgen. Werder Bremen ist ausgeschieden.

Um ein Haar wäre es dem Torwart mit der breiten Bodybuilder-Brust gelungen, in den Kreis ernst zu nehmender Sportler aufgenommen zu werden. Nach seinem Fehler, der die Bremer um den Lohn eines guten Auftritts in Italien gebracht hat – Werder-Manager Klaus Allofs benutzte das Wort „ungerecht“ – wird wieder über all das diskutiert werden, was Wiese zu Beginn seiner Karriere regelrecht zum Gespött hat werden lassen.

Im Januar 2002 wechselte Wiese vom Regionalligisten Fortuna Köln nach Kaiserslautern, schon in der Folgesaison war er, der als dritter Torhüter hinter Georg Koch und Roman Weidenfeller verpflichtet worden war, Lauterns Nummer eins. Sein Trainer Eric Gerets sah Wiese damals „nicht weit von der Nationalmannschaft entfernt“. Doch der Nachwuchskeeper fiel nicht nur sportlich auf. Wiese war ein vorlautes Bürschchen. Er sah sich als legitimer Nachfolger von Oliver Kahn, seinem Idol („Er ist für mich ein Gott“). Frech war noch eines der harmlosesten Attribute, die ihm seinerzeit zugeschrieben wurden. Vielen fiel er negativ auf, auch durch sein Äußeres. Die gezupften Augenbrauen, das gegelte Haupthaar, der solariumbraune Teint – Tim Wiese wurde als eitler Pinkel verspottet, nicht erst seit er rosa Torwartpullis trägt.

Als er 2004 zu Werder Bremen wechselte, war es bereits ein wenig stiller geworden um den bekennenden Ferrari-Fan aus dem Rheinland. Er war an die Weser gewechselt mit dem lautstark erklärten Ziel, Andreas Reinke als Nummer eins abzulösen. Aufgrund zweier unmittelbar aufeinander folgender Kreuzbandverletzungen konnte er anderthalb Jahre nicht spielen. Es wurde ruhig um den Lautsprecher. Bis zum Januar diesen Jahres. Wiese war wieder fit. Er verkündete, dass er sich sicher sei, Reinke noch im Laufe dieser Saison als Stammtorhüter ablösen zu können. Bremens Trainer Thomas Schaaf hielt jedoch an seiner bewährten Stammkraft fest. Erst als sich Reinke in der Bundesligapartie gegen den VfB Stuttgart schwer verletzte, bekam der nunmehr 24-Jährige seine Chance.

Drei Bundesligaspiele und zwei Champions-League-Begegnungen später ist Wiese zum Loser-Typen geworden. Nur wegen seines Fehlgriffs steht Werder Bremen nicht im Viertelfinale der Champions League. Zwar wurde er nach dem Spiel von Mannschaft und Trainer in Schutz genommen. Sportdirektor Allofs allerdings äußerte Kritik. „Daraus muss er lernen“, sagte er und spielte auf die bittere Szene kurz vor Schluss an. Wiese hatte eine Flanke abgefangen, er hielt den Ball sicher in der Hand, dann ließ er sich fallen, wollte sich noch einmal um die eigene Achse drehen, ganz so, wie es der große Oliver Kahn regelmäßig zu tun pflegt. Wahrscheinlich hätte es ganz gut ausgesehen, wenn, ja wenn Wiese der Ball nicht aus der Hand gefallen wäre. Überhaupt legt Wiese bei seinen Paraden darauf Wert, dass sie gut aussehen. Er legt Wert auf das Äußere, auch auf das seiner Aktionen im Spiel. Er will wirken. Seiner Mannschaft hat er am Dienstag damit keinen guten Dienst erwiesen.